„Eine ganz normale Frau“ (nachtkritik.de vom 9. März 2022)

Jens Fischen hat für das renommierte Theatermagazin Nachtkritik.de am 9. März 2022 unsere Lesung „Im Lager hat man auch mich zum Verbrecher gemacht.“ Margarete Ries – vom „asozialen“ Häftling in Ravensbrück zum Kapo in Auschwitz besprochen. Zehn Jahre nach der Premiere ist die Lesung noch immer gefragter Bestandteil unseres Repertoires.

Eine ganz normale Frau

Die Projektreihe „Aus den Akten auf die Bühne“ der Bremer Shakespeare Company arbeitet an der Schnittstelle zwischen Geschichtswissenschaft und Dokumentartheater. Nun, zehn Jahre nach der Premiere, wird der Fall einer Frau auf die Bühne zurückgeholt, die im NS-Regime vom Opfer zur Täterin wurde.

Von Jens Fischer

9. März 2022. Kraftvoller Schauspieler-Gang über die Bühne, schmucklose Verkündigung von Ort, Zeit und Handlung: „14. Januar 1948, Haus des Reichs, Bremen, Deutschland, Vernehmung von Fräulein Margarete Ries.“ Sie wurde kurz zuvor von einer jüdischen KZ-Überlebenden im Bremer Hauptbahnhof als bestialischer Auschwitz-Kapo „Gretel“ wiedererkannt und angezeigt, anschließend festgenommen. Sie soll Mithäftlinge nicht nur geschlagen, sondern mit „Vergnügen“ auch zu Tode geprügelt oder lebendig den Wachhunden zum Fraß vorgeworfen haben. Das weist Ries gegenüber dem deutschen Entnazifizierungsbeamten Alfred Göbel zurück. Nachdem Kronzeugin Feiga Berkmann zu Details befragt wurde, nimmt US-Offizier Harold Oppenheim die Angeklagte ins Kreuzverhör.

Eine unheimlich intensive Szene. Aber kein Dramatiker hat sie geschrieben. Es handelt sich um das Original-Verhörprotokoll, das für die Bühne den großen Vorteil hat, bereits dialogisch verfasst worden zu sein. In ihrer Aufführungsreihe „Aus den Akten auf die Bühne“ beleuchtete die Bremer Shakespeare Company seit 2007 bereits 18 solcher Fundstücke. Behandelt wurden Themen wie die Revolution 1918/19, „Lästige Ausländer – Ausweisungsverfahren in den 20er Jahren“, der Konkurs des Unternehmens Nordwolle, die koloniale Vergangenheit Bremens, „Zigeunerpolitik“ im Deutschen Kaiserreich, deutsche Polarforschung bis hin zu „Staatsschutz, Treuepflicht, Berufsverbot“. Mehr als 20.000 Besucher zählte bisher der künstlerische Leiter Peter Lüchinger, der an diesem Abend den Alfred Göbel spielt.

„Nicht einmal mit den Augen gezuckt.“

Das Konzept: Gerade die Geschichte der Nazizeit verlebendigen, weil inzwischen fast alle Zeitzeugen verstorben sind. Die puren Worte der Dokumente sollen im Mittelpunkt stehen, also weitgehend die Mittel der Bühnenkunst verweigert werden. Am Weltfrauentag kam im Theater am Leibnizplatz nun die Ries-Geschichte zu Gehör. Bis auf wenige Tische und Stühle ist die Spielfläche leer, was als Verhörbüro-Bühnenbild funktioniert. Keine Regieideen, Ausstattungs- und Lichteffekte, Bewegungen im Raum oder Fremdtexte lenken vom O-Material ab. Aber es werden auch nicht nur einst niedergeschriebene Texte prononciert vorgelesen, sondern zurückgenommen emotionalisiert und vielleicht gerade deswegen umso klarer und eindringlicher gespielt.

Die Darsteller gehen in die Haltung der Figuren und gestalten sie mit Mimik und Sprachgestus aus. Sehr schön etwa der US-amerikanische Akzent im insistierenden Fragenfuror des sehr präsenten Michael Meyer. Mit kühler Beiläufigkeit die Traumata und Gerechtigkeitswut versteckend gibt Erika Spalke diverse Zeuginnen. Mehr als nur eine Entwicklung deutet Petra-Janina Schultz in der Ries-Rolle an. Erst nimmt sie selbstsicher genervt die Vorhaltungen entgegen, blickt dann ungerührt schweigend ins Leere und hat „nicht einmal mit den Augen gezuckt“, wie Oppenheim sich empört und resümiert: „Ich werde froh sein, wenn Sie hängen.“ Aber so nach und nach quälen die Frager hinter der naiven Unschuldsmaskerade erste Andeutungen der Wahrheit heraus. Und so verändert sich auch die Wahrnehmung. Während ihrer emotionslosen Zurückweisung ist man sofort vom dezivilisierten Verhalten der Kapo-Ries überzeugt, was dann vom Mitgefühl abgefedert wird, das zu ihren privaten Erzählungen erwächst.

Ihre eigene Verhaftung geschah, weil sie als „arbeitsscheu“ galt, Auslandssender hörte und einen Mann mit ihrer Geschlechtskrankheit ansteckte. Aufgrund dieses „liederlichen Lebenswandels“ wurde Margarete Ries ins Frauen-KZ Ravensbrück deportiert, der Gruppe der „Asozialen“ zugeteilt und all dem Grauen des Lagerlebens ausgesetzt. Irgendwie würdevoll wirkt es dann, wenn sie mit lieblicher, demütig runtergedimmter Stimme vorsichtig schuldbewusst und reuewillig erscheint. Aber den Eindruck bald wieder zerstört, indem sie Verantwortung für ihr Handeln verneint und sich als ein hilflos unter dem „Zwang der SS“ stehendes Opfer inszeniert, dem es nur um Lebenserhaltung ging.

Durch alle Hinter-, Vorder-, Quer und Untergründe

All das ist Geschichtswissenschaft live. Der Blick zurück ist keine dröge Angelegenheit mehr, die uns in Kenntnis setzt, was längst vorbei ist, um zu verstehen, was jetzt so passiert. Die stummen Zeugnisse auf Aktenpapier ohne viele geschmäcklerische Zutaten theatral zu verköstigen, hat die am Institut für Geschichtswissenschaft der Uni Bremen dozierende Eva Schöck-Quinteros initiiert. In zweisemestrigen Seminaren suchen sich jeweils etwa 20 Studierende ein Thema und erkunden dessen bremische bis regionalgeschichtliche Bedeutung. Forschend lernen nennen sie das. Monatelange Arbeit vor allem im Staatsarchiv Bremen ist die Folge, zusätzlich müssen Hinter-, Vorder-, Quer und Untergründe recherchiert werden. Die werden nur in den Begleitbüchern veröffentlicht, auf der Bühne ist Kontext- und Zusatzmaterial verpönt. Der Deal mit dem Theater: Die Abschriften aller erschlossenen Dokumente, meist so um die 1.000, werden Peter Lüchinger für die dramaturgische Arbeit, Spezifizierung des Themas, sowie eine dramatische Zuspitzung überlassen. Es gilt, aus Prozessunterlagen, Tagebüchern, Zeugenaussagen, Anordnungen, Interviews, Zeitungsartikeln und Briefen etwa zweistündige Abende zu komponieren. Die Vorlagen dürfen sprachlich nicht verändert, nur gekürzt und montiert werden.

Dokumentartheater in relativ reiner Form also. Allerdings fertigt Lüchinger aus den Ries-Akten eine zunehmend redundante Fassung. Für diese Lesung wollten die Studierenden etwas über die Entnazifizierung „ganz normaler“ Frauen herausfinden – und entdeckten, dass sie auch ihren Beitrag zum Holocaust geleistet haben. Beispielhaft funktioniert das im Fall Ries. Geradezu zeitlos wirkt er in der Ambivalenz der Täter-Opfer-Problematik – wie Ries vom KZ-Häftling zur Peinigerin und Mörderin ihrer Mitgefangenen und schließlich zur stets hilfsbereiten Biederfrau der 1950/1960er Jahre wurde. Steckt in jedem von uns ein potenzieller Schlächter? Zumindest sei jeder verführbar, gerade wenn er ums Überleben kämpft, legt der Abend nahe. Und betont: Bestraft wird das nicht. Das Gericht spricht Ries frei, weil sie ohne Tätervorsatz und ohne NS-politische Überzeugung als nur willenloses Werkzeug der Vorgesetzten fungierte. Das ist ein Freispruch für alle Schreibtischtäter, Mitläufer und Behaupter, man habe lediglich Befehle ausgeführt. Was gerade in unseren Tagen staatlich angewiesenen Mordens in der Ukraine noch verstörender klingt.

Online unter: https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=20727

Der „Radikalenerlass“ – Eva Schöck-Quinteros im Interview

Mit dem Radikalenerlass vor 50 Jahren standen Anwärter des öffentlichen Dienstes unter Generalverdacht. Noch heute sind die Folgen kaum aufgearbeitet worden. Historikerin und Projektleiterin Dr. Eva Schöck-Quinteros sprach am 28. Januar 2022 im Interview mit buten un binnen zu dem Thema.

Das Interview ist in der ARD-Mediathek und bei buten un binnen zu sehen: https://www.butenunbinnen.de/videos/eva-schoeck-quinteros-talk-100.html

 

Das Goldene Plietsch – Förderung für neues Projekt

Foto: Lehmkühler

Das Team von „Aus den Akten auf die Bühne“ unter Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros wurde im November 2021 beim Wettbewerb „Das Goldene Plietsch“ der Universität Bremen mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Damit verbunden ist die Förderung über 8.000 Euro für das nächste Projekt: Chile: Auf dem Weg zu einer neuen Demokratie? Dabei setzt sich das Projektteam unter anderem mit den Folgen der chilenischen Militärdiktatur (1973-1990) und des seit mehr als 100 Jahren andauernden Rohstoffhandels mit Deutschland auseinander, der auch viele Bremer Kaufleute reich gemacht hat.

Das Projektteam beim Projektpitch: Dr. Eva Schöck-Quinteros, Peter Lüchinger, Marcel Golczyk und Raul Clermont (Foto: Marianne Menke)

Chile – Auf dem Weg zu einer neuen Demokratie?

Das 18. Projekt der mehrfach ausgezeichneten Reihe unterscheidet sich von früheren Projekten, weil es das Publikum auch in die Gegenwart führt und an noch nicht abgeschlossene Prozesse teilhaben lässt. Aus den Akten wird zum „Dokumentarfilm ohne Kamera“ auf der Bühne mit zwei Schwerpunkten:

  1. Chile, der Rohstoffproduzent, ist seit über 100 Jahren mit Deutschland eng verbunden. Der Salpeterhandel hat zum Reichtum der Kaufleute in Bremen und Hamburg beigetragen (Chile Haus). Ego-Dokumente (Briefe, Berichte, Gedichte) zeigen die wenig bekannten Lebens- und Arbeitsbedingungen der „Pampinos“ in der Atacama-Wüste.
    Nach Salpeter folgen Kupfer, Lithium und Grüner Wasserstoff, über dessen Produktion die Regierungen Deutschlands und Chiles seit 2019 verhandeln. Der Abschluss erster Verträge wurde als Erfolg gefeiert. Welche dramatischen Folgen diese Produktion (ebenso wie der Abbau von Salpeter, Kupfer, Lithium) für die Umwelt Chiles und die Bevölkerung (meist für die Pueblos Originarios) haben, wird in den Medien kaum diskutiert.
  1. Die Folgen der Militärdiktatur (1973-1990) sind noch lange nicht überwunden. Die Verfassung von 1980 gilt, etwas verändert, immer noch. Dieter Blumenwitz (1939-2005), Prof. für Staats-und Völkerrecht an der Universität Würzburg, wurde für seine Beratung im Verfassungsprozess von der Junta 1985 mit dem „Orden al Mérito de Chile“ ausgezeichnet.
    Die von Schüler:innen am 18. Oktober 2019 ausgelöste soziale Revolte (Estallido social) mündete in ein Plebiszit und in Wahlen zu einem Verfassungskonvent, der seit Anfang Juli 2021 arbeitet. Es ist global die erste(!) verfassungsgebende Versammlung, die geschlechterparitätisch zusammengesetzt ist. Die Wahl einer Frau und Mapuche zur ersten Präsidentin des Konvents ist ein deutliches Zeichen, dass sich Chile auf den Weg zu einer neuen Demokratie aufgemacht hat. Wir verfolgen vor allem die Auseinandersetzungen über
  • den langen Schatten der Diktatur, zum Beispiel: Erinnerungen der Opfer, Schutz der Täter; Forderungen nach einer neuen Polizei;
  • Chile als Labor des Neoliberalismus; Freihandelsabkommen; Zerstörung der Umwelt;
  • Kolonialgeschichte; Beteiligung der Mapuches, der Pueblos Originarios: Wird Chile ein plurinationaler Staat?
  • Verfassungsentwurf muss Juni 2022 vorliegen – so der derzeitige Stand. Im Herbst 2022 wird el pueblo chileno über diesen Entwurf abstimmen.
  • Wahl von Gabriel Boric zum Präsidenten am 19.12.2021, die Arbeit der neuen Regierung und die Reaktion der Rechten, auch am Beispiel von José Antonio Kast, Sohn eines nach Chile geflüchteten Wehrmachtsoffiziers  und NSDAP-Mitglieds.

Die Premiere wird Ende September 2022 stattfinden. Ein Sammelband mit Beiträgen, zahlreichen Abbildungen und Dokumenten wird zu der Premiere erscheinen. Auch Autor:innen aus Chile und anderen Ländern Lateinamerikas werden in dem Band vertreten sein.

Aufgaben der Studierenden  in diesem Projekt sind u.a.: Quellen aus dem Verfassungskonvent und in verschiedenen Archiven recherchieren und für die szen. Lesung aufbereiten; Dokumente für den Begleitband zu der Lesung auswählen und kommentieren; Einträge für das Personenverzeichnis verfassen.

Peter Lüchinger (bsc) übernimmt die Textbearbeitung und inszeniert die Lesungen ausschließlich aus Originaldokumenten. Die Schauspielerinnen und Schauspieler der bsc bringen die Akten zum Sprechen. Historische Forschung und Vermittlung an ein breites Publikum sind in dem Projekt von gleichrangiger Bedeutung.

Eine der Herausforderungen dieses 18. Projekts ist, dass die meisten Quellen in spanischer Sprache vorliegen. Studierende sind sehr beeindruckt, wie groß das Interesse aus Chile an diesem Projekt ist. Dank Zoom lernen sie wichtige Akteur:innen kennen, zum Beispiel Amaya Álvez Marin, Professorin für Jura an der Universidad Concepción und Mitglied im Verfassungskonvent und Pedro Cayuqueo, Journalist und wichtiger Aktivist der Mapuche.

„Aus den Akten auf die Bühne“ (AdA) setzt im Zeitalter der medialen Visualisierung auf die Sprache(n) der beteiligten Akteurinnen und Akteure und ermöglicht damit unterschiedliche Perspektiven auf historische Prozesse.

Seit 2010 gibt es eine steigende Nachfrage nach Gastspielen von verschiedenen Bildungseinrichtungen (Schulen, Bundeszentrale für politische Bildung, Gedenkstätten, Museen und Archive, Bremische Vertretung bei der EU in Brüssel). Die Aufführungen werden professionell aufgezeichnet, so dass Workshops an Schulen auch mit diesem Filmmaterial und ohne die Schauspielerinnen und Schauspieler der bsc stattfinden können.

 

„Und wohin jetzt?“ in der Öffentlichkeit

Wissenschaft und Kunst haben viel gemeinsam – vor allem: Sie brauchen Resonanz, um wirken zu können. Daher freuen wir uns besonders, dass Journalist*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen so großes Interesse an unserer aktuellen Lesung „Und wohin jetzt?“ zeigen.

Arte: „Geschichte mal anders“ (28. Juni 2021)

„Diskriminierung von Minderheiten oder auch Migration – manchmal hilft ein Blick in die Geschichte, um die großen Fragen von heute besser zu verstehen. In Bremen haben sich dafür ein Theaterregisseur der dortigen Shakespeare Company und eine Historikerin zusammengetan für das Projekt „Aus den Akten auf die Bühne“. Für ihr neustes Stück sind sie in die Archive des Deutschen Kaisserreichs gestiegen und haben dort Akten rund um den Umgang mit Sinti und Roma durchforstet.“

taz: „Der Amtsweg zur Vernichtung“ (29. Juni 2021)

„Das Mahlwerk der Bürokratie, eine Höllenmaschine unerbittlich wie eine Tragödie, reduziert Menschen zu Objekten, belanglos und lästig wie Staub. Der Porajmos, die Vernichtung der europäischen Sin­ti*­ze und Rom*nja, hat, so singulär wie die Shoah, lange vor der Machtübergabe an die Nazis, lange vor dem Auschwitz-Erlass begonnen. Ob er vorbei ist und bloße Geschichte: Diese Frage beantwortet der Abend nicht – er stellt sie.“

Den gesamten Artikel finden Sie hier: https://taz.de/!5783147/ 

EuropaPunkt Bremen: Antiziganismus gestern und heute (24. Juni 2021)

„Ein Gespräch mit Betroffenen der Community, Politikern aus dem Europäischen Parlament und Historikerinnen zur Problematik der schon lange währenden Ausgrenzung und Verfolgung von Sinti und Roma und Wegen, dies zu beenden. Die Roma und Sinti sind die größte verfolgte und benachteiligte Ethnie in Europa.“ Projektleiterin Dr. Eva Schöck-Quinteros war an der Veranstaltung ebenso beteiligt wie Projektkooperationspartnerin Prof Eve Rosenhaft (University of Liverpool).

BestRom: Our most heartfelt thanks to AdA and BSC (Juli 2021)

„Eva Schöck-Quinteros, her students and assistants have done admirable work, not only compiling, interpreting and discussing the sources we provided, but adding their own research findings to ours. We also like to extend our gratitude to Peter Lüchinger and the Bremer Shakespeare Company (BSC) for bringing to life with such vividness the stories of repression, persecution and hostility against the Roma.“

Den gesamten Artikel unserer Kooperationspartner*innen des BestRom-Projekts können Sie hier lesen: https://bestrom.org/blog-2/109-our-most-heartfelt-thanks-to-ada-and-bsc

Und wohin jetzt? – Neue Lesung ab 25. Juni 2021

„Es ist ja nicht zu begreifen, dass wir als geborene Preussen wie Ausländer behandelt werden und in andere Gebiete des deutschen Reiches sowie ins Ausland transportiert werden.“ (Artist Peter Kreuz, 1906)

Im Deutschen Kaiserreich waren Menschen, die als „Zigeuner“ stigmatisiert wurden, Anfeindungen, Repressionen und Abschiebungen ausgesetzt. Politiker hetzten gegen sie, Polizeibehörden erfassten und kriminalisierten sie. Viele versuchten sich an anderen Orten eine Zukunft aufzubauen, doch wohin sie auch kamen: Diskriminierungen erwarteten sie überall in Europa.

1906 reisten rund 150 deutsche Frauen, Männer und Kinder aus dem Kaiserreich nach Großbritannien. Sie wollten auf Pferde- und Jahrmärkten Geld verdienen und ein Leben ohne Schikanen führen. Doch auch hier stießen sie auf Ablehnung. Im britischen Parlament diskutierten Abgeordnete über schärfere Einreisebedingungen. In der Presse wurden sie als Eindringlinge beschrieben – häufig unter der Schlagzeile „German Gipsy Invasion“. Die Polizei trieb sie von Ort zu Ort.

„Und wohin jetzt?“ erzählt die Geschichten von Familien auf der Suche nach einem Leben frei von staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ausgrenzung.

Premiere am 25. Juni 2021

Die Premiere der neuen szenischen Lesung der bremer shakespeare company findet am 25. Juni 2021 im Theater am Leibnizplatz statt. Ob mit oder ohne Publikum (und dafür im Livestream via Zoom) wird rechtzeitig auf der Seite der bsc bekanntgegeben: www.shakespeare-company.com

Wir informieren zeitnah über weitere Termine.

Ein Projekt als internationale Kooperation

Das 16. Projekt der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ entsteht in Zusammenarbeit mit den Wissenschaftler:innen des HERA-Projekts „Beyond Stereotypes: Cultural Exchanges and the Romani Contribution to European Public Spaces“ (BESTROM) der Universitäten Sevilla, Liverpool, Helsinki und Kraków. Weitere Informationen zum Projekt und spannende Einblicke in die Forschung finden Sie auf www.bestrom.org.

Der Flyer für das neue Projekt

Vier virtuelle Lesungen im Februar und März 2021!

Nach der erfolgreichen szenischen Lesung „Ich habe daher das Verfahren eingestellt“, die am 9. Februar via Zoom mehr als 200 Zuschauer:innen in den digitalen Theatersaal auf der eigenen Couch lockte, bietet die Bremer Shakespeare Company im Februar und März gleich vier weitere Lesung an:

 „Nationalität: Schwarzer Afrikaner“ – Leben und Überleben von Johannes Kohl in Bremen (1924–1973)

Aktendeckel der Fallakte Kohl (StAB 4,13-5-38)

Am Beispiel von Johannes Kohl (1892–1973) wird der Umgang deutscher Behörden mit Schwarzen Menschen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus gezeigt. Kohl kam wahrscheinlich 1904 aus Lomé nach Deutschland. Sein Versuch, den „Zustand der Staatenlosigkeit“ zu beenden und eingebürgert zu werden, und sein Kampf um das Sorgerecht für seinen Sohn stehen im Mittelpunkt der Lesung.

Mittwoch, 24. Februar 2021, 19.30 Uhr
Link zu Zoom auf www.shakespeare-company.com


Keine Zuflucht. Nirgends.

MS „ST. LOUIS“ im Hafen von Havanna (Quelle: USHMM)

Auf der Suche nach einem sicheren Hafen kreuzen Schiffe mit Geflüchteten an Bord über Flüsse und Meere. 32 Staaten beraten zehn Tage lang über die Aufnahme von Verfolgten – doch sie handeln nicht, am Ende gibt es nur Lippenbekenntnisse. Kein Staat will ihnen Zuflucht gewähren.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938 nahm die Verfolgung von Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich immer mehr zu. Für viele war der einzige Ausweg die Flucht. Doch wohin?
US-Präsident Franklin D. Roosevelt lud zu einer internationalen Konferenz ein, die im Juli 1938 in Evian am Genfer See stattfand. Es wurde debattiert, diniert und um Einwanderungsquoten gefeilscht. Am Ende erklärte sich kein Staat bereit, seine Grenzen für die Verfolgten zu öffnen. Durch die Novemberpogrome verschärfte sich ihre Lage dramatisch.
Im Mai 1939 legte die St. Louis in Hamburg mit 937 Kindern, Frauen und Männern an Bord Richtung Kuba ab. Den Hafen von Havanna in Sichtweite wurde der St. Louis die Einfahrt verweigert. Auch die USA und Kanada lehnten die Aufnahme ab. Nach tagelangen Verhandlungen musste das Schiff beidrehen und zurück nach Europa fahren – einem ungewissen Schicksal entgegen.

Mittwoch, 3. März 2021, 19.30 Uhr
Link zu Zoom auf www.shakespeare-company.com


„Ich will Dir so ein bisschen die Wahrheit schreiben.“ – Aus den Briefen des Bremer Kaufmanns und Bataillonsfotografen Hermann Gieschen (1902–1951)

Hermann Gieschen an der Schreibmaschine in Russland (1941/42)

„Weißt Du, ich will Dir so ein bisschen die Wahrheit schreiben, wie es ist“ – diese Zeilen schreibt der Bremer Kaufmann und Bataillonsfotograf Hermann Gieschen (1902-1951) aus Litauen Anfang Juli 1941 an seine Frau. Er erlebe so „allerhand Seltenheiten“ und sei gestern mit einem Exekutionskommando in einen Nachbarort gefahren. Die Briefe eines Familienvaters dokumentieren den Alltag und die verbrecherischen Aktionen des Bremer Polizeibataillons 105 in der Sowjetunion (ab Juli 1942 in den Niederlanden).

Mittwoch, 10. März 2021, 19.30 Uhr
Link zu Zoom auf www.shakespeare-company.com


„Ich habe daher das Verfahren eingestellt.“ – Die Ermittlungen gegen den Lagerkommandanten Walhorn 1961/62

Theo Roodvoets

Anfang Juli 1961 fragt A.A.C. Roodvoets aus Leeuwarden beim Justizminister der BRD Fritz Schäffer (CSU) an, ob Lagerkommandant Walhorn für die Ermordung seines Bruders Theo Roodvoets und Tjark Kremers im Arbeitserziehungslager Bremen Farge bestraft worden sei. Genau ein Jahr später, Juli 1962, antwortet der erste Staatsanwalt Dr. Höffler, der 1939/40 am Sondergericht Rzeszów in Polen tätig gewesen war, er habe die Ermittlungen eingestellt, da Walhorn für den Tod der beiden Häftlinge nicht verantwortlich sei.

Mittwoch, 17. März 2021, 19.30 Uhr
Link zu Zoom auf www.shakespeare-company.com

Lesung: „Ich habe daher das Verfahren eingestellt“ am 9. Februar 2021

Anfang Juli 1961 fragt A.A.C. Roodvoets aus Leeuwarden beim Justizminister der BRD Fritz Schäffer (CSU) an, ob Lagerkommandant Walhorn für die Ermordung seines Bruders Theo Roodvoets und Tjark Kremers im Arbeitserziehungslager Bremen Farge bestraft worden sei. Genau ein Jahr später, Juli 1962, antwortet der erste Staatsanwalt Dr. Höffler, der 1939/40 am Sondergericht Rzeszów in Polen tätig gewesen war, er habe die Ermittlungen eingestellt, da Walhorn für den Tod der beiden Häftlinge nicht verantwortlich sei.

Theo Roodvoets

Dieses Kapitel Bremer Nachkriegsjustiz wird basierend auf Originaldokumenten im Theater der bremer shakespeare company im Rahmen des Programms des Vereins „Erinnern für die Zukunft“ und der LzpB Bremen aufgeführt. Anschließend ist ein Gespräch mit Thea Roodvoets geplant.

„Ich habe daher das Verfahren eingestellt.“
Die Ermittlungen gegen den Lagerkommandanten Walhorn 1961/62
9. Februar 2021, 19.30 Uhr

Die Veranstaltung wird live via Zoom gestreamt. Die Einwahl-Daten finden Sie vor Beginn der Veranstaltung auf der Seite der Bremer Shakespeare Company: https://www.shakespeare-company.com/spielplan/

Veranstalter: Aus den Akten auf die Bühne, Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bremen; Heinrich-Böll-Stiftung Bremen

Den Flyer finden Sie hier: FLYER.

 

 

Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen

Szenenfoto "Erziehen - Erzwingen - Erniedrigen", Foto: Marianne Menke

Am 16. September fand die Premiere unserer neuen szenischen Lesung „Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen. Das Arbeitserziehungslager Bremen-Farge“ im ausverkauften Theater am Leibnizplatz statt.

Das inzwischen 15. Projekt der Reihe Aus den Akten auf die Bühne bringt ein kaum bekanntes Kapitel der Bremer Geschichte im Nationalsozialismus auf die Bühne. Es geht um Zwangsarbeit – um die Häftlinge und Täter, aber auch um die Profiteure. Denn die sogenannten Bummelanten und Arbeitsverweigerer wurden im Lager nicht nur im Sinne der NS-Ideologie „erzogen“, sondern vor allem ausgebeutet. So waren auch die Häftlinge des AEL Bremen-Farge unter anderem auf der Baustelle des U-Boot-Bunkers „Valentin“ eingesetzt.

Erste Reaktionen

Die Bürgerschaftsabgeordnete Kai Wargalla (Bündnis90/Die Grünen) schrieb nach dem Besuch der Premiere:

Über die Premiere hat auch Bremen zwei berichtet und dafür Regisseur Peter Lüchinger von der Bremer Shakespeare Company sowie Marcus Meyer, wissenschaftlicher Leiter bim Denkort Bunker Valentin, interviewt. Der hörenswerte Beitrag ist hier zu finden:

https://www.radiobremen.de/bremenzwei/rubriken/theater/aus-akten-auf-die-buehne102.html

Die taz hat mit Projektleiterin Eva Schöck-Quinteros ebenfalls ein kurzes Interview geführt. Es ist hier zu lesen:

https://taz.de/Es-braucht-keine-Nebeleffekte/!5709839/

Begleitbände

Zu der Lesung sind zwei Begleitbände mit zusammen rund 750 Seiten erschienen. Sie sind bei der Lesung und über den Buchhandel erhältlich.

Band 1:
Erziehen – Erzwingen – Erniedrigen. Das Arbeitserziehungslager Bremen-Farge 1940–1945, hg. v. Eva Schöck-Quinteros und Simon Rau, Bremen 2020, ISBN 978–3–88722–765–4
Das Inhaltsverzeichnis finden Sie HIER.

Band 2: 
Verteidigen – Verdrängen – Vergessen. Das Arbeitserziehungslager Bremen-Farge nach 1945, hg. v. Eva Schöck-Quinteros und Simon Rau, Bremen 2020, ISBN 978–3–88722–766–1
Das Inhaltsverzeichnis finden Sie HIER.

Die nächsten Termine

22. September 2020
30. September 2020
29. Oktober 2020

jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz.

Infos und Karten erhalten Sie bei der bremer shakespeare company.

Theater trotz Corona – das neue Projekt!

ERZIEHEN – ERZWINGEN – ERNIEDRIGEN
Das „Arbeitserziehungslager“ in Bremen-Farge (1940–1945)

„Pass auf oder du kommst nach Farge“ – mit diesem Satz wurde im Zweiten Weltkrieg den Arbeitern in den Bremer Betrieben gedroht. Gemeint war das Arbeitserziehungslager in Bremen-Farge, das unter der Leitung der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) stand. Sogenannte Bummelanten und Arbeitsverweigerer sollten hier „erzogen“ werden. 

Im Laufe des Krieges wurden mehr und mehr Zwangsarbeiter aus den von der Wehrmacht besetzten Teilen Europas in Farge inhaftiert. 

Im Juni 1940 errichtet, war es eines der ersten Arbeitserziehungslager im Deutschen Reich. Erst ein Jahr später wurden sie durch einen Erlass Heinrich Himmlers reichsweit eingeführt. 

In dem Lager herrschten brutale Arbeits- und Lebensbedingungen: Zwangsarbeit für den U-Boot-Bunker Valentin, eines der größten deutschen Rüstungsprojekte, grausame Misshandlungen durch Kommandanten und Wachmannschaften, Hunger. Farge wurde in Bremen auch als „Männervernichtungslager“ bekannt. 

Nur wenige Täter werden nach 1945 zur Rechenschaft gezogen, nur wenige Häftlinge erhalten eine Entschädigung.

In der szenischen Lesung kommen Häftlinge, Profiteure und Täter zu Wort und geben einen Einblick in ein wenig bekanntes Kapitel der Bremer Geschichte. 

2020 ist ein besonderes Jahr. Aufgrund der Pandemie und der sich stetig verändernden Lage fällt allen Kulturstätten eine verbindliche Terminplanung schwer. Wir versuchen es unter Einhaltung der aktuellen Hygienebestimmungen trotzdem und starten das neue Projekt mit vier Terminen im September und Oktober 2020 im Theater am Leibnizplatz. Da sich die Lage verändern kann, besuchen Sie bitte die Seite der bremer shakespeare company, um aktuelle Termine, Änderungen und Informationen zu erhalten! 

Termine:
16. September 2020
22. September 2020
30. September 2020
29. Oktober 2020
jeweils um 19.30 Uhr
Theater am Leibnizplatz, Bremen

Karten/Reservierung:
bremer shakespeare company
Tel. 0421 – 500 333 oder am Ticketstand im Foyer der Stadtbibliothek, Am Wall 201, 28195 Bremen (jeweils Montag bis Freitag, 15–18 Uhr)
oder online unter www.sheakespeare-company.com.

Interview: „Das Archiv ist das Labor des Historikers“

Im September 2019 war die bremer shakespeare company mit der Lesung Geflüchtet, unerwünscht, abgeschoben – ‚Lästige Ausländer‘ in der Weimarer Republik im Bundesarchiv in Koblenz zu Gast. Anlässlich des Gastspiels im Bundesarchiv stand Projektleiterin Dr. Eva Schöck-Quinteros für ein Interview zur Verfügung, das jetzt im Blog zum Themenportal Weimar – Die erste deutsche Demokratie nachzulesen ist.

Zum Interview