Ariadne

Rezension des Begleitbandes zum „Fall Kolomak“
von Dr. Kerstin Wolff (Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel)

Skandal in Bremen!

1927 wurde im Landgericht Bremen der Prozess gegen Elisabeth Kolomak eröffnet. Die Anklage lautete auf schwere Kuppelei, die Angeklagte wurde zu acht Monaten Gefängnishaft verurteilt. Dieser Prozess, der so oder so ähnlich in vielen Städten der Weimarer Republik stattgefunden haben könnte weist nun mehrere Besonderheiten auf: Erstens fand er unter einem enormen Öffentlichkeitsinteresse statt, zweitens wurde gegen das Urteil Berufung eingelegt und der bekannte Justizrat Dr. Johannes Werthauer übernahm im Auftrag der Liga für Menschenrechte die Verteidigung und drittens kam der Fall nur deswegen ins Rollen, weil die Mutter das angebliche Tagebuch der verstorbenen geschlechtskranken Tochter (sie starb aufgrund einer ärztlichen Zwangsbehandlung mit Salvarsan im Alter von 16 Jahren) veröffentlichte. Das Tagebuch der Tochter erwies sich als Fälschung der Mutter und die Bremer Polizei begann den Fall zu recherchieren.
Dieser alte Justizfall fand nun im Jahr 2010 den Weg auf die Bretter der bremer shakespeare company. Dass dies möglich war, ist der Historikerin Eva Schöck-Quinteros zu verdanken, die schon zum dritten Mal historische Ereignisse auf die Bühne holte. Dabei wird sie jedes Mal unterstützt von den Studierenden des Masters: Geschichte der Universität Bremen, die nicht nur den Fall rekonstruieren, sondern ihn auch für die Bühne aufbereiten. Der Fall Kolomak, beziehungsweise das, was die Studierenden daraus gemacht haben, ist nun auch als Buch erschienen, ebenfalls unter der Leitung von Eva Schöck-Quinteros. Darin wird nicht nur der Justizskandal in Bremen aufgerollt, vielmehr geht es in den Beiträgen der Studierenden darum, das Verfahren in seine Zeit einzubetten. So fragen Cathrin Anna Becker und Frederike Buda nach dem Einfluss der katholischen Kirche und Thomas Hinrichs, Christopher Menge und Sabrina Schütze zeichnen die Debatten über den Kolomak-Fall in der Bremischen Bürgerschaft nach. Das Buch ist optisch ausgesprochen gut gestaltet, der Fall gut nacherzählt und die Hintergrundfakten kenntnisreich und interessant zusammen gesammelt. Das gesamte Projekt, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, „Akten auf der Bühne zum Sprechen zu bringen und auf diese Weise einem breiten Publikum quellenbasierte Forschung zu einem aktuellen Thema zugänglich zu machen“ (www.sprechende-akten.de) zeigt exemplarisch, wie innovativ und spannend die Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaft und Theater sein kann.
Noch ein Wort zum Fall Kolomak: Dieser wurde erst zu einem Bremer Justizskandal, weil die Mutter den Fall der zwangsbehandelten Tochter öffentlich machte – durch ein Tagebuch, welches sie selber verfasste und damit der bürgerlichen Doppelmoral einen Spiegel vorhielt. Dieses Tagebuch, ist unter dem Titel: „Vom Leben getötet“ 1926 veröffentlicht worden und brachte den Fall erst ins Rollen. Denn erst die Veröffentlichung veranlasste die Bremer Polizei und Staatsanwaltschaft tätig zu werden, der ungeklärte Tod der erst 16jährigen Lisbeth Kolomak zwei Jahre zuvor, hatte dies nicht erreichen können. Das Buch ging im Frühjahr 1927 in die zweite Auflage, als Elisabeth Kolomak bereits verhaftet war und der Prozess kurz bevor stand. Der Verlag verfasste daraufhin ein Vorwort, in dem auch der Grund für das Verfassen des ›falschen‹ Tagebuches von Seiten der Mutter angegeben wurde. »Nicht allein das traurige Schicksal meiner Tochter, der Klatsch, die Verleumdung und die Vorurteile gegen uns und die anderen Kinder gaben mir die Kraft, Erzähltes und Geschriebenes wiederzugeben. Ich versetzte mich in die Natur des Kindes , das ich als Mutter am besten kannte… Ich habe nur die Ehre meiner Tochter und der lebenden Kinder wahren wollen.« (Vom Leben getötet, S. VIII).
Eva Schöck-Quinteros / Sigrid Dauks (Hg.): »Wußten Sie, daß Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?« Der Fall Kolomak, Universität Bremen 2010

Die Rezension ist gekürzt erschienen in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 59 (2011).

Weserkurier

 

Herrenverkehr vor Gericht

Die Bremer Shakespeare Company überprüft den „Fall Kolomak“

Holzvertäfelungen umranden die meterhohen Wände, seitlich durchflutet warmes Abendlicht den Raum. Die historische Pracht des Schwurgerichtssaals im Bremer Landgericht ist die perfekte Kulisse für eine Reise in die Vergangenheit. An diesem Ort wurde 1927 einer Bremerin der Prozess wegen sogenannter Kuppelei gemacht. Dass es sich hierbei um mehr als nur einen haarsträubenden Justiz-Irrtum handelte, zeigt die Aufführung der Bremer Shakespeare Company, die nun am historischen Ort den Fall zu neuer Anschaulichkeit befördert.
Studierende der Bremer Universität haben für diese Zeitreise eine szenische Lesung komponiert, bei der eine restriktive Sexualmoral aufgearbeitet wird. In historischen Dokumenten haben sie gewühlt, um sie den Schauspielern der Company zur Darstellung zu reichen. Ein spannendes Gerichtsdrama am Originalschauplatz ist das Ergebnis dieser Recherche. Beim „Fall Kolomak“ war die Tochter der Elisabeth Kolomak ins Gerede ihrer Nachbarschaft geraten.
Zunächst bot eine Amüsierreise der 15-Jährigen nach Berlin den Anstoß für Getuschel – später auch Freundschaften mit Männern. Schnell war von Prostitution die Rede, eine Unterstellung, für die sich die Mutter vor Gericht verantworten musste: „Wussten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?“ lautete der Vorwurf. Dass sich der Fall in der Weimarer Republik zum Skandal auswuchs, lag neben tabuisierter Sexual-Thematik auch an einem Buch, das Mutter Kolomak in tiefstem Seelenschmerz nach dem Tod ihrer Tochter (in deren Namen) verfasst hatte – als Anklageschrift gegen die Behörden. So entblättert sich in der Neuinszenierung dieser Gerichtsverhandlung das Drama einer modernen Inquisition. Denn nicht das Liebesleben der jungen Frau war ein Verbrechen, sondern deren Zwangsbehandlung mit Salvarsan, einem rabiaten Mittel gegen die Volkskrankheit Syphilis. Daran war die junge Frau gestorben.
Weitere Aufführungen im Landgericht: 7. Und 8. Juni, 19.30 Uhr; 13. Juni, 11 Uhr.

Weserkurier (3.6.2010)

Kreiszeitung (Syke)

Sittenskandal „Fall Kolomak“ als lebendige und lehrreiche Lesung im Landgericht
Geschichte wird zum Erlebnis

Bremen – Von Corinna Laubach

Im Schwurgerichtssaal 218 geht es hoch her. Verteidigung und Staatsanwaltschaft liefern sich einen erhitzten Schlagabtausch. Unzählige Zeugen treten auf. Auf der Anklagebank: Elisabeth Kolomak. Ihr Vergehen: schwere Kuppelei. Ihr Opfer: die eigene Tochter.
Schauspielerin Franziska Mencz als Angeklagte Elisabeth Kolomak mit ihrem Anwalt Hertel (Michael Meyer) bei der Uraufführung von „Der Fall Kolomak“ im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Bremen.
„Die Anklage ist mir vollkommen unverständlich“, spricht die Frau mit Haardutt und hochgeschlossenem Kleid. Weder einer Unzucht noch einer Schuld ist sie sich bewusst, sieht sich vielmehr einem Racheakt der Polizei ausgesetzt und von infamen Lügen verfolgt.
Was sich heute antiquiert anhört, sorgte im Bremen der späten 20er Jahre für einen handfesten Sittenskandal. Aus dem In- und Ausland reisten Pressevertreter an, um den dreitägigen Prozess im Juni 1927 zu verfolgen. Am Ende urteilt das Gericht: acht Monate Gefängnis für die Schustergattin, da sie als Mutter dafür habe sorgen müssen, dass ihre Tochter nicht auf die schiefe Bahn gerät. Der Anwalt legte Berufung ein. Nachdem die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft ins Ausland flüchtete, wurde der Prozess im Mai 1928 eingestellt.
Mit „Wußten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte? Der Fall Kolomak“ entführt jetzt die Bremer Shakespeare-Company an originaler Stätte im Landgericht in die 20er Jahre. Ausgangspunkt ist das Tagebuch „Vom Leben getötet. Bekenntnisse eines Kindes“, das im November 1926 erschienen ist. Lisbeth Kolomak, ein junges, leichtlebiges Mädchen, soll es verfasst haben – sie war 1924 an den Folgen einer Zwangs-Salvarsanbehandlung wegen Syphillis gestorben. In dem Buch werden auch die Polizei und das Krankenhaus angeprangert, später wurde Mutter Elisabeth als Verfasserin ausgemacht.
Dass auch gut 80 Jahre nach dem Vorfall die Bremer die Geschichte der Frau mitfühlen und erleben können, ist Geschichtsstudenten der Uni Bremen sowie der Company zu verdanken. Der „Fall Kolomak“ ist der dritte historische Fall, der für das Publikum erlebbar gemacht wird. Die beiden Historikerinnen Eva Schöck-Quinteros und Sigrid Dauks haben gemeinsam mit ihren Studenten an der systematischen Aufarbeitung gearbeitet und in der Shakespeare-Company einen willigen Partner gefunden, die Geschichtsakten mit Leben zu füllen.
Die Studenten wälzten Akten über Akten, werteten Presseartikel aus und trugen Informationen zusammen, die die Schauspieler auf eine zweieinhalbstündige szenische Lesung zusammengekürzt haben. Das Ergebnis: ein lebendiger, lehrreicher und authentischer Geschichtsunterricht, der höchst anschaulich Einblick in die Doppelmoral der vergnügungssüchtigen Weimarer Republik gibt.
Die nächste Aufführungen stehen am Montag, 7. Juni, und Dienstag, 8. Juni, jeweils 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 13. Juni, um 11 Uhr auf dem Programm. Restkarten gibt es in den Geschäftsstellen unserer Zeitung.

Online unter: http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/bremen/geschichte-wird-erlebnis-790093.html