Kulturradio Berlin Brandenburg

 

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Tagesspiegel

 

Ausweitung der Ausweisungszone

Was heute der „illegale Ausländer“ ist, das war in den 1920er Jahren der „lästige Ausländer“. Der dehnbare Begriff war amtlich und in Bremen gar Begründung für Ausweisungen. Die Akten von damals hat die Bremer Shakespeare Company als Vorlage für eine szenische Lesung genommen. Sie entpuppt sich als hochaktuelles Lehrstück über die politische Verwaltung menschlicher Schicksale. Die Truppe gastiert im altehrwürdigen, wegen des riesigen Zuschauerinteresses stickigen Plenarsaal des Oberverwaltungsgerichts Berlin. Am mächtigen Richtertisch tragen vier Schauspieler aus dem Schriftverkehr zwischen Betroffenen, Anwälten, Senatoren und der Polizei vor.

Lebensläufe und Schicksale werden skizziert, eine Topografie bürokratischer Diskriminierung schält sich heraus. Etwa der Arbeiter Ludwig Tokarz: wohnt seit 17 Jahren mit fünf in Bremen geborenen Kindern in der Hansestadt. Nun soll er wegen Diebstahls von Fett nach Polen zurück.

Es galt der Grundsatz: Der Zuzug aus dem Osten ist zu verhindern. Wer nicht von „wirtschaftlichem Interesse“ war, hatte schlechte Karten. Was also sich seit damals geändert hat, will im Anschluss an die Vorführung eine Podiumsdiskussion klären. Der Präsident des Oberverwaltungsgerichts, Jürgen Kipp, räumt ein, die Grundmuster seien „gleich geblieben“, doch hätten wir heute einen rechtsstaatlichen Zugewinn. Rechtsanwalt Eberhard Schulz widerspricht und führt die Abschiebehaft an, in die Menschen ohne Vergehen gesteckt werden. „Der Ausländer ist hierzulande ein Objekt.“ Zuständig für Abschiebungen in Berlin ist Roland Brumberg von der Ausländerbehörde. Er zeigt sich als Beamter: ausführendes Organ, keine Zweifel an der Praxis. Neben ihm: die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke. Sie will das Ausländerrecht gleich ganz abschaffen. Und erntet Applaus. Ein Stück mit den Akten aktueller Verfahren ist in Arbeit. Philipp Lichterbeck

http://www.tagesspiegel.de/kultur/kurz-und-kritisch/1230422.html

Der Archivar

Aus den Akten auf die Bühne. Ausweisung aus Bremen in den 1920er Jahren

Unter diesem Motto stand im vergangenen Jahr ein spannendes und hoch aktuelles Geschichts- und Theaterprojekt an der Universität
Bremen. Studierende und Schauspieler der bremer shakespeare company (bsc) entwickelten und inszenierten anhand von Beschwerdeakten eine szenische Lesung über die Ausweisung „lästiger Ausländer“ aus Bremen in den 1920er Jahren.
Der „lästige Ausländer“ taucht erstmalig Mitte des 19. Jahrhunderts in der Behördensprache auf. In der Weimarer Republik wird er in der amtlichen Terminologie zu dem Grund der Ausweisung schlechthin. Wer oder was als „lästig“ galt, war nicht gesetzlich definiert, sondern wurde von den Behörden von Fall zu Fall bestimmt. Gegen eine Ausweisung gab es keine Rechtsmittel. Nur mit einer Beschwerde an den Bremer Senat konnte dieser Vorgang aufgehalten und in seltenen Fallen auch abgewendet werden.
Einige der Ausgewiesenen ergriffen diese Chance und wandten sich allein oder mit Unterstützung von Angehörigen, Rechtsanwälten, Pastoren an den Bremer Senat. Diese Beschwerdeakten sind im Staatsarchiv Bremen überliefert und bildeten die Grundlage für die eindrucksvolle Lesung.
Die Studierenden haben unter der Leitung der Historikerin Eva Schöck-Quinteros die Unterlagen gesichtet, abgeschrieben und „typische“ Ausweisungsverfahren ausgewählt, d. h. Verfahren, die aufzeigen, nach welchen Kriterien die „Lästigkeit“ konstruiert wurde: kriminelle Delikte, politische Gesinnung, ethnische Herkunft, unsittlicher Lebenswandel. Die Schauspieler der bsc ließen die beteiligten Akteure und Akteurinnen zu Wort kommen: Polizisten und Politiker auf der einen Seite, die zu „lästigen Ausländern“ erklärten Menschen, ihre Angehörigen, Rechtsanwälte, Nachbarn, Genossen und Kollegen auf der anderen Seite. Der Ort der Aufführung war gut gewählt. Der Schwurgerichtssaal im Bremer Landgericht bot mit seiner aufwändig geschnitzten hohen Kassettendecke und dem alten Gestühl eine ehrfurchtsgebietende Kulisse, auch wenn hier in den 1920er Jahren keines der Ausweisungsverfahren verhandelt worden ist.

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Highlights

Ein Stück Geschichte wieder zum Leben erweckt

 

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