Weserkurier

 

„Nur das Beste für mein Vaterland“

Szenische Lesung über normale Frauen, ihre Dienste für den Nationalsozialismus und ihre Entnazifizierung

VON LIANE JANZ

Altstadt. Paula Brand war Kommunistin – und Schmugglerin. Als die Gestapo ihr auf die Schliche kam, sah sie nur einen Ausweg: für die Geheime Staatspolizei Leute bespitzeln. Sie ist eine von vier Frauen, deren Verwicklung in den Nationalsozialismus von Geschichtsstudenten der Universität Bremen recherchiert wurde – anhand ihrer Entnazifizierungsprozesse. Die Bremer Shakespeare Company hat die Geschichten
auf die Bühne gebracht, und zwar am Ort des Geschehens, dem Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichts.
Im Rahmen des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mussten sich auch viele Bremer wegen ihrer Tätigkeiten für die NSDAP, Gestapo oder eine andere NS-Einrichtung vor Gericht verantworten. Aus dieser Menge suchten sich die Studenten ganz normale Frauen aus und wälzten im Bremer Staatsarchiv unzählige Seiten Gerichtsprotokolle. Aus den Abschriften der Studenten inszenierte die Shakespeare Company in der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ die szenische Lesung „Was verstehen wir Frauen auch von Politik? Entnazifizierung ganz normaler Frauen in Bremen (1945-1952)“. Am Montag war Premiere.
Paula Brand war zum Zeitpunkt ihrer Gerichtsverhandlung 1948 36 Jahre alt. Sie wurde 1930 in den Interclub am Gröpelinger Deich eingeführt und wurde Kommunistin. Für die kommunistische Partei war sie dann auch einige Jahre lang illegal tätig. Zudem schmuggelten die Hausfrau und Mutter und ihr Mann vier Jahre lang Güter aus dem Bremer Hafen. Die Gestapo wurde auf sie aufmerksam, weil sie Kontakt zu einem Mann hatte, der unter Beobachtung stand. Im Verhör drohten ihr die Polizisten mit hohen Rückzahlungen an den Zoll, mit der Einweisung in ein Konzentrationslager und damit, dass sie ihr Kind verlieren würde. Also ließ sie sich darauf ein, als „Frau Hilker“ andere zu bespitzeln. Vor Gericht sagte sie aus, sie hätte alles als so minimal angesehen . Außerdem hätte sie der Gestapo immer nur belangloses Zeug berichtet und nie etwas, das jemandem zum Nachteil hätte ausgelegt werden können. Das Gericht stufte Paula Brand in die Gruppe der Belasteten ein und verurteilte sie zu dreieinhalb Jahren Arbeitsdienst. Ihre Zeit im Internierungslager wurde darauf vollständig angerechnet. Offenkundig handelte Paula Brand aus einer Not heraus – anders als andere Angeklagte.
Hilde Schöttger bewarb sich freiwillig bei der Gestapo, weil sie „am Staatsapparat interessiert“ war und auf gute Bezahlung hoffte. Sie machte Karriere als Büroangestellte, erst in Wesermünde, dann auf eigenen Wunsch in Berlin. Später war sie in einem Arbeitslager in Minsk für die Listen der Häftlinge zuständig. Die Häftlinge mussten nach Schilderung der Angeklagten auf dem Hof an ihr vorbeigehen und ihren Namen nennen.
Verfahren eingestellt
Sie gab bei ihrer Verhandlung auch an, dass sie sehr wohl gewusst habe, dass viele Häftlinge ins Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert wurden. Und sie sagte aus, dass sie froh war, „im Kriege mithelfen zu können“ und nur „das Beste für mein Vaterland“ gewollt hatte. Im Gegensatz zu Paula Brand kam Schöttger straffrei davon. Während ihrer Inhaftierung bis zum Prozess war die Angeklagte auch für die Amerikaner im Schreibdienst tätig und sammelte durch Fleiß und Können Lorbeeren bei der Besatzungsmacht. Außerdem reichte ihr Vater ein Gnadengesuch ein, in dem er seiner Tochter Unwissenheit über die Machenschaften der Gestapo bescheinigte. Das Verfahren gegen Hilde Schöttker wurde eingestellt, da sie „im Sinne des Gesetzes nicht belastet“ war.
Obwohl die Schauspieler Svea-Mike Auerbach, Franziska Mencz, Petra-Janina Schultz sowie Markus Seuß und Peter Lüchinger auf theatralische Gesten und emotionale Ausbrüche verzichteten, verfehlte Lesung ihre Wirkung nicht. Der Zuhörer musste sich unwillkürlich fragen, nach welchen Maßstäben nach dem Kriege geurteilt wurde. Auf der einen Seite die, die aus Not handelte – als Belastete verurteilt – auf der anderen Seite eine freiwillige Helferin in einem Arbeitslager – Verfahren eingestellt.

Die Darsteller der Shakespeare Company wechselten zwischen den einzelnen Gerichtsverfahren die Rollen, waren mal Richter, Angeklagte, Zeugen oder öffentlicherKläger – wobei nur die Zeugen undAngeklagten emotionale Regungen erkennen ließen. Richter und Kläger traten eher kühl und distanziert auf und vermittelten dadurch einen Eindruck der Objektivität. Die allerdings spiegelte sich in den von ihnen begründeten Urteilen nicht immer wider.

Die Bremer Shakespeare Company zeigt die szenische Lesung noch einmal heute, 22. September, sowie am 4. Oktober und am 2., 15. und 22. November jeweils um 19.30 Uhr und am 9. Oktober um 11 Uhr im Landgericht an der Domsheide. Tickets gibt es für zwölf, ermäßigt sechs Euro unter Telefon 500333. Schulklassen in Begleitung zahlen vier Euro pro Person.

[gview file=“https://www.sprechende-akten.uni-bremen.de/wp-content/uploads/2012/02/wk_mitte_22092011.pdf“ width=“100%“]

Weserkurier

„Nur das Beste für mein Vaterland“

Von Liane Janz
Altstadt. Paula Brand war Kommunistin – und Schmugglerin. Als die Gestapo ihr auf die Schliche kam, sah sie nur einen Ausweg: für die Geheime Staatspolizei Leute bespitzeln. Sie ist eine von vier Frauen, deren Verwicklung in den Nationalsozialismus von Geschichtsstudenten der Universität Bremen recherchiert wurde – anhand ihrer Entnazifizierungsprozesse. Die Bremer Shakespeare Company hat die Geschichten auf die Bühne gebracht, und zwar am Ort des Geschehens, dem Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichts.
Im Rahmen des Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus mussten sich auch viele Bremer wegen ihrer Tätigkeiten für die NSDAP, Gestapo oder eine andere NS-Einrichtung vor Gericht verantworten. Aus dieser Menge suchten sich die Studenten ganz normale Frauen aus und wälzten im Bremer Staatsarchiv unzählige Seiten Gerichtsprotokolle. Aus den Abschriften der Studenten inszenierte die Shakespeare Company in der Reihe „Aus den Akten auf die Bühne“ die szenische Lesung „Was verstehen wir Frauen auch von Politik? Entnazifizierung ganz normaler Frauen in Bremen (1945-1952)“. Am Montag war Premiere.
Paula Brand war zum Zeitpunkt ihrer Gerichtsverhandlung 1948 36 Jahre alt. Sie wurde 1930 in den Interclub am Gröpelinger Deich eingeführt und wurde Kommunistin. Für die kommunistische Partei war sie dann auch einige Jahre lang illegal tätig. Zudem schmuggelten die Hausfrau und Mutter und ihr Mann vier Jahre lang Güter aus dem Bremer Hafen. Die Gestapo wurde auf sie aufmerksam, weil sie Kontakt zu einem Mann hatte, der unter Beobachtung stand. Im Verhör drohten ihr die Polizisten mit hohen Rückzahlungen an den Zoll, mit der Einweisung in ein Konzentrationslager und damit, dass sie ihr Kind verlieren würde. Also ließ sie sich darauf ein, als „Frau Hilker“ andere zu bespitzeln. Vor Gericht sagte sie aus, sie hätte alles als so minimal angesehen . Außerdem hätte sie der Gestapo immer nur belangloses Zeug berichtet und nie etwas, das jemandem zum Nachteil hätte ausgelegt werden können.
Das Gericht stufte Paula Brand in die Gruppe der Belasteten ein und verurteilte sie zu dreieinhalb Jahren Arbeitsdienst. Ihre Zeit im Internierungslager wurde darauf vollständig angerechnet. Offenkundig handelte Paula Brand aus einer Not heraus – anders als andere Angeklagte.
Hilde Schöttger bewarb sich freiwillig bei der Gestapo, weil sie „am Staatsapparat interessiert“ war und auf gute Bezahlung hoffte. Sie machte Karriere als Büroangestellte, erst in Wesermünde, dann auf eigenen Wunsch in Berlin. Später war sie in einem Arbeitslager in Minsk für die Listen der Häftlinge zuständig. Die Häftlinge mussten nach Schilderung der Angeklagten auf dem Hof an ihr vorbeigehen und ihren Namen nennen.
Verfahren eingestellt
Sie gab bei ihrer Verhandlung auch an, dass sie sehr wohl gewusst habe, dass viele Häftlinge ins Vernichtungslager nach Auschwitz deportiert wurden. Und sie sagte aus, dass sie froh war, „im Kriege mithelfen zu können“ und nur „das Beste für mein Vaterland“ gewollt hatte. Im Gegensatz zu Paula Brand kam Schöttger straffrei davon. Während ihrer Inhaftierung bis zum Prozess war die Angeklagte auch für die Amerikaner im Schreibdienst tätig und sammelte durch Fleiß und Können Lorbeeren bei der Besatzungsmacht. Außerdem reichte ihr Vater ein Gnadengesuch ein, in dem er seiner Tochter Unwissenheit über die Machenschaften der Gestapo bescheinigte. Das Verfahren gegen Hilde Schöttker wurde eingestellt, da sie „im Sinne des Gesetzes nicht belastet“ war.
Obwohl die Schauspieler Svea-Mike Auerbach, Franziska Mencz, Petra-Janina Schultz sowie Markus Seuß und Peter Lüchinger auf theatralische Gesten und emotionale Ausbrüche verzichteten, verfehlte die Lesung ihre Wirkung nicht. Der Zuhörer musste sich unwillkürlich fragen, nach welchen Maßstäben nach dem Kriege geurteilt wurde. Auf der einen Seite die, die aus Not handelte – als Belastete verurteilt – auf der anderen Seite eine freiwillige Helferin in einem Arbeitslager – Verfahren eingestellt. Die Darsteller der Shakespeare Company wechselten zwischen den einzelnen Gerichtsverfahren die Rollen, waren mal Richter, Angeklagte, Zeugen oder öffentlicher Kläger – wobei nur die Zeugen und Angeklagten emotionale Regungen erkennen ließen. Richter und Kläger traten eher kühl und distanziert auf und vermittelten dadurch einen Eindruck der Objektivität. Die allerdings spiegelte sich in den von ihnen begründeten Urteilen nicht immer wider. Die Bremer Shakespeare Company zeigt die szenische Lesung noch einmal heute, 22. September, sowie am 4. Oktober und am 2., 15. und 22. November jeweils um 19.30 Uhr und am 9. Oktober um 11 Uhr im Landgericht an der Domsheide. Tickets gibt es für zwölf, ermäßigt sechs Euro unter Telefon 500333. Schulklassen in Begleitung zahlen vier Euro pro Person.

Die Welt

 

Theater im Schwurgerichtssaal

Bremer Bühne zeigt Stück über Entnazifizierung von Frauen
Einmaliges Projekt von Shakespeare Company und Studenten begeistert Publikum

Schwaches Abendlicht fällt durch die langen Bogenfenster, die meterhohen Wände sind mit massivem Eichenholz und verspielten Ornamenten verkleidet. Der Schwurgerichtssaal im Bremer Landgericht wirkt bedrohlich. Der historische Saal, in dem nach dem Zweiten Weltkrieg zahlreiche Prozesse geführt worden sind, ist an diesem Abend Kulisse für eine Inszenierung von historischen Fällen.
Johanne Eilers sitzt am 14. März 1946 als Angeklagte in der Spruchkammer. Sie soll einen gewissen Georg Meyer denunziert haben, der daraufhin hingerichtet worden ist. „Bitte äußern Sie sich zu dem Vorwurf“, die Worte der Spruchkammer hallen durch den Saal. Eilers beteuert ihre Unschuld, sagt, sie habe den Denunziationsbrief nicht verfasst. Auch der NSDAP sei sie nur beigetreten, weil sie zu einer Rentenversorgung kommen wollte. Das Urteil der Spruchkammer: „Die Betroffene ist Hauptschuldige und verbleibt weiterhin in Haft“. In einem Berufungsverfahren am 16. November 1950 wird sie aufgrund einer schweren Krankheit aus dem Arbeitslager entlassen. Was an diesem Montagabend nur Theater ist, hat sich in den Jahren nach dem Dritten Reich so zugetragen. Unter dem Titel „Was verstehen wir Frauen auch von Politik?“ bringen die Bremer Shakespeare Company und Studierende der Geschichtswissenschaft an der Universität Bremen einige solcher Gerichtsfälle auf die Bühne. Seit 2007 inszenieren die Theatermacher Lesungen auf der Basis von Originaldokumenten.
Ein Jahr lang recherchierten die Studierenden im Staatsarchiv, wählten die Fälle aus und transkribierten nicht nur personenbezogene Akten, sondern auch alte Akten des Senats und des „Office of Military Government, United States“ – der amerikanischen Militärregierung. „Die Akten waren meist 20 Zentimeter dick“, sagt Eva Schöck-Quinteros vom Institut für Geschichtswissenschaft an der Bremer Universität. Peter Lüchinger von der Bremer Shakespeare Company hat das Material überarbeitet. Es handle sich dabei um ein heikles Thema, das bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren habe, sagt er.
Das Publikum klatscht am Ende der Premiere Beifall. Bis zum 22. November sind acht weitere Aufführungen des bundesweit einmaligen Projekts im Bremer Schwurgerichtssaal geplant, darunter auch ein Gastspiel in Köln. Lni

Radio Bremen

Was verstehen wir Frauen auch von Politik?

Aus den Akten auf die Bühne
Mit einer szenischen Lesung im Schwurgerichtssaal des Bremer Landgerichtes wollen Schauspieler und Historiker die Entnazifizierung von Frauen nach dem Krieg beleuchten. „Was verstehen wir Frauen auch von Politik?“ lautet der Titel des Stücks. Premiere ist am 19. September im Gerichtsgebäude an der Domsheide.
Im Schwurgerichtssaal des Landgerichts lief in Bremen im August 1947 das erste Verfahren nach dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus. An diesem Ort wollen Schauspieler und Wissenschaftler beispielsweise der Frage nachgehen, welche Rolle die Frauen im Nationalsozialismus hatten. Waren sie nur Befehlsempfängerinnen, unwissende Mitläuferinnen oder gar Opfer, wie viele Frauen behaupteten?
Das Stück ist Teil einer Reihe, die in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen entstand. Unter dem Motto „Aus den Akten auf die Bühne“ entwickelten und inszenierten Studierende des Instituts für Geschichtswissenschaft gemeinsam mit Schauspielern szenische Lesungen aus historischen Dokumenten an Originalschauplätzen. Ziel sei es, die Akten auf der Bühne „zum Sprechen zu bringen“, erläuterte Initiatorin und Historikerin Eva Schöck-Quinteros. Auf diese Weise sollen die Studenten und das Publikum erleben, wie lebendig und anschaulich historische Dokumente sein können.
Die nächste szenische Lesung „Was verstehen wir Frauen auch von Politik?“ findet am 21. September im Schwurgerichtssaal im Bremer Landgericht statt. Weitere Aufführungen gibt es am 22. September, am 4. Oktober und am 2., 15. und 22. November. Beginn: jeweils um 19:30 Uhr.

taz

Strategisch doof

GESCHICHTE Wie Frauen sich entnazifizieren ließen, zeigt jetzt eine szenische Lesung am Landgericht

Heldinnen des Alltags und Trümmerfrauen – in der Nachkriegszeit erscheinen Frauen meist als positive Figuren. Doch waren sie wirklich bloß unschuldige Witwen und Mütter, ohne Anteil am Grauen des NS-Regimes? Nicht unbedingt, zeigt eine szenischen Lesung, die Studierende der Bremer Universität konzipiert haben. Im Schwurgerichtsaal des Bremer Landesgerichts lasen am Montag SchauspielerInnen der Shakespeare Company erstmals aus Akten weiblicher Angeklagten in Bremer Entnazifizierungsprozessen in den 1940er Jahren.
Die Forschung zeigt bislang wenig Interesse an der Entnazifizierung von Frauen. „Es gibt eine Dissertation dazu und einige wenige Aufsätze“, sagt Eva Schöck-Quinteros von der Uni Bremen. Die Historikerin hat mit den Studierenden die Dokumente aufbereitet.
Anders als Männer hatten Frauen gute Chancen, einen Persilschein zu bekommen – „wenn sie einem bestimmten Bild der Weiblichkeit gefolgt sind“, so Schöck-Quinteros. Nichts gewusst zu haben, sei eine weibliche Verteidigungsstrategie gewesen. „Dabei haben Frauen zum Funktionieren des NS-Apparates beigetragen, auch wenn sie nicht am Schalthebel der Macht saßen“, sagt die Historikerin. „Sie haben fleißig mitgemacht.“
Dass Frauen nicht nur Witwen und Mütter, sondern auch glühende Nationalsozialistinnen sein konnten, zeigt der Fall Johanne Eilers. „Für sein Vaterland muss man alles hingeben können“, schreibt die Witwe, die zwei ihrer Söhne verlor, Anfang der 1940er an ihren Ortsgruppenleiter. Wenig später leitet sie durch einen Beschwerdebrief die Verhaftung eines Nachbarn in die Wege, wegen wehrzersetzender Äußerungen. Sie wird später als Hauptschuldige verurteilt.
Über zwei Stunden dauert die Lesung, viel Amtsdeutsch inklusive. Auch den Initiatoren bereitete die Materialfülle Probleme. Nur vier von fünf geplanten Fällen kommen auf die Bühne: schwere Kost, ganz wie das Thema. JULIA ROTENBERGER

dpa

Theaterstück im Landgericht zeigt Entnazifizierung von Frauen

Bremen (dpa/lni) – Sie waren Aufseherinnen in Konzentrationslagern und Gestapo-Sekretärinnen: Frauen zur Zeit des Nationalsozialismus. Die Bremer Shakespeare Company (bsc) und Studierende der Universität Bremen haben sich der Entnazifizierung ganz normaler Frauen in der Nachkriegszeit von 1945 bis 1952 gewidmet. In einer szenischen Lesung erklären die angeklagten Frauen im Bremer Schwurgerichtssaal ihr Handeln. Das gut besuchte Stück «Was verstehen wir Frauen auch von Politik?» feierte am Montagabend seine Premiere. Bis zum 22. November sind sieben weitere Aufführungen geplant. Das bundesweit einmalige Projekt geht damit schon in die vierte Runde. Seit 2007 bereiten Historiker der Universität und Schauspieler der bsc die Geschichte Bremens dramaturgisch auf.

Veröffentlicht u.a. in: BILD (19.9.2011), Nordsee-Zeitung (20.9.2011), Alfelder Zeitung (21.9.2011)

Weserkurier

 

Herrenverkehr vor Gericht

Die Bremer Shakespeare Company überprüft den „Fall Kolomak“

Holzvertäfelungen umranden die meterhohen Wände, seitlich durchflutet warmes Abendlicht den Raum. Die historische Pracht des Schwurgerichtssaals im Bremer Landgericht ist die perfekte Kulisse für eine Reise in die Vergangenheit. An diesem Ort wurde 1927 einer Bremerin der Prozess wegen sogenannter Kuppelei gemacht. Dass es sich hierbei um mehr als nur einen haarsträubenden Justiz-Irrtum handelte, zeigt die Aufführung der Bremer Shakespeare Company, die nun am historischen Ort den Fall zu neuer Anschaulichkeit befördert.
Studierende der Bremer Universität haben für diese Zeitreise eine szenische Lesung komponiert, bei der eine restriktive Sexualmoral aufgearbeitet wird. In historischen Dokumenten haben sie gewühlt, um sie den Schauspielern der Company zur Darstellung zu reichen. Ein spannendes Gerichtsdrama am Originalschauplatz ist das Ergebnis dieser Recherche. Beim „Fall Kolomak“ war die Tochter der Elisabeth Kolomak ins Gerede ihrer Nachbarschaft geraten.
Zunächst bot eine Amüsierreise der 15-Jährigen nach Berlin den Anstoß für Getuschel – später auch Freundschaften mit Männern. Schnell war von Prostitution die Rede, eine Unterstellung, für die sich die Mutter vor Gericht verantworten musste: „Wussten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?“ lautete der Vorwurf. Dass sich der Fall in der Weimarer Republik zum Skandal auswuchs, lag neben tabuisierter Sexual-Thematik auch an einem Buch, das Mutter Kolomak in tiefstem Seelenschmerz nach dem Tod ihrer Tochter (in deren Namen) verfasst hatte – als Anklageschrift gegen die Behörden. So entblättert sich in der Neuinszenierung dieser Gerichtsverhandlung das Drama einer modernen Inquisition. Denn nicht das Liebesleben der jungen Frau war ein Verbrechen, sondern deren Zwangsbehandlung mit Salvarsan, einem rabiaten Mittel gegen die Volkskrankheit Syphilis. Daran war die junge Frau gestorben.
Weitere Aufführungen im Landgericht: 7. Und 8. Juni, 19.30 Uhr; 13. Juni, 11 Uhr.

Weserkurier (3.6.2010)

Kreiszeitung (Syke)

Sittenskandal „Fall Kolomak“ als lebendige und lehrreiche Lesung im Landgericht
Geschichte wird zum Erlebnis

Bremen – Von Corinna Laubach

Im Schwurgerichtssaal 218 geht es hoch her. Verteidigung und Staatsanwaltschaft liefern sich einen erhitzten Schlagabtausch. Unzählige Zeugen treten auf. Auf der Anklagebank: Elisabeth Kolomak. Ihr Vergehen: schwere Kuppelei. Ihr Opfer: die eigene Tochter.
Schauspielerin Franziska Mencz als Angeklagte Elisabeth Kolomak mit ihrem Anwalt Hertel (Michael Meyer) bei der Uraufführung von „Der Fall Kolomak“ im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Bremen.
„Die Anklage ist mir vollkommen unverständlich“, spricht die Frau mit Haardutt und hochgeschlossenem Kleid. Weder einer Unzucht noch einer Schuld ist sie sich bewusst, sieht sich vielmehr einem Racheakt der Polizei ausgesetzt und von infamen Lügen verfolgt.
Was sich heute antiquiert anhört, sorgte im Bremen der späten 20er Jahre für einen handfesten Sittenskandal. Aus dem In- und Ausland reisten Pressevertreter an, um den dreitägigen Prozess im Juni 1927 zu verfolgen. Am Ende urteilt das Gericht: acht Monate Gefängnis für die Schustergattin, da sie als Mutter dafür habe sorgen müssen, dass ihre Tochter nicht auf die schiefe Bahn gerät. Der Anwalt legte Berufung ein. Nachdem die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft ins Ausland flüchtete, wurde der Prozess im Mai 1928 eingestellt.
Mit „Wußten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte? Der Fall Kolomak“ entführt jetzt die Bremer Shakespeare-Company an originaler Stätte im Landgericht in die 20er Jahre. Ausgangspunkt ist das Tagebuch „Vom Leben getötet. Bekenntnisse eines Kindes“, das im November 1926 erschienen ist. Lisbeth Kolomak, ein junges, leichtlebiges Mädchen, soll es verfasst haben – sie war 1924 an den Folgen einer Zwangs-Salvarsanbehandlung wegen Syphillis gestorben. In dem Buch werden auch die Polizei und das Krankenhaus angeprangert, später wurde Mutter Elisabeth als Verfasserin ausgemacht.
Dass auch gut 80 Jahre nach dem Vorfall die Bremer die Geschichte der Frau mitfühlen und erleben können, ist Geschichtsstudenten der Uni Bremen sowie der Company zu verdanken. Der „Fall Kolomak“ ist der dritte historische Fall, der für das Publikum erlebbar gemacht wird. Die beiden Historikerinnen Eva Schöck-Quinteros und Sigrid Dauks haben gemeinsam mit ihren Studenten an der systematischen Aufarbeitung gearbeitet und in der Shakespeare-Company einen willigen Partner gefunden, die Geschichtsakten mit Leben zu füllen.
Die Studenten wälzten Akten über Akten, werteten Presseartikel aus und trugen Informationen zusammen, die die Schauspieler auf eine zweieinhalbstündige szenische Lesung zusammengekürzt haben. Das Ergebnis: ein lebendiger, lehrreicher und authentischer Geschichtsunterricht, der höchst anschaulich Einblick in die Doppelmoral der vergnügungssüchtigen Weimarer Republik gibt.
Die nächste Aufführungen stehen am Montag, 7. Juni, und Dienstag, 8. Juni, jeweils 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 13. Juni, um 11 Uhr auf dem Programm. Restkarten gibt es in den Geschäftsstellen unserer Zeitung.

Online unter: http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/bremen/geschichte-wird-erlebnis-790093.html

Weserkurier

 

[gview file=“https://www.sprechende-akten.uni-bremen.de/wp-content/uploads/2012/01/WK230109.pdf“ width=“100%“]

Kulturradio Berlin Brandenburg

 

[audio:https://www.sprechende-akten.uni-bremen.de/wp-content/uploads/2012/01/LA_Kulturradio08.mp3|titles=Grund der Ausweisung: Lästiger Ausländer]