taz: Ohne Vorhang zu den Tätern

Ohne Vorhang zu den Tätern

SZENISCHE LESUNG Auch für „Im Lager hat man mich zum Verbrecher gemacht“ kooperieren der Fachbereich Geschichte und die Shakespeare Company. Diesmal Original-Schauplatz: der Sitz der Finanzsenatorin

Fünf Tage sind es noch, dann startet das Schiff, die „SS Marine Flasher“, nach New York. Nur für ihre Ausreise ist die KZ-Überlebende Feiga Bergmann nach Bremen gekommen, geht durch den Hauptbahnhof, als sie Margarete Ries wiedererkennt – als Kapo „Gretel“, der sie und die anderen Häftlinge in Auschwitz gefoltert und ihre Schwester getötet hat. Bergmann lässt Ries verhaften.

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Engage U! Stimmen Sie mit ab!

„Aus den Akten auf die Bühne“ ist im Rennen um die EngageU-Awards (European Competition for Best Innovations in University Outreach and Public Engagement). Dieser Preis wird durch die Europäische Kommission initiiert und ist „an online competition to identify the most innovative outreach and public engagement activities that have been carried out by European Universities„. Über die Preisvergabe entscheidet neben einer Jury auch die Öffentlichkeit – also Sie!

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Interview im Weser-Kurier

„Es gibt keine guten Menschen“

Spricht man von Tätern des Nationalsozialismus, geht es meist um Männer. Dass auch Frauen schuldig wurden, zeigen Schauspielerinnen und Schauspieler der Bremer Shakespeare Company in der szenischen Lesung „Im Lager hat man auch mich zum Verbrecher gemacht?. Geschichtsstudierende der Uni Bremen haben die Originalakten eines Entnazifizierungsfalls dafür herausgesucht. Angela Neumann sprach mit der Leiterin des Projekts, der Dozentin Eva Schöck-Quinteros, und dem Regisseur und Schauspieler Peter Lüchinger. In Ihrer szenischen Lesung geht es um Margarete Ries, eine junge Frau, die selbst in ein Konzentrationslager eingeliefert und dort zum Kapo, zum Funktionshäftling, ernannt wurde. Wie kann man sich Ries vorstellen?

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Aus den Akten: Neues im Jahr 2012

Die Projektreihe „Aus den Akten auf die Bühne“ geht ins fünfte Jahr. Nach Lesungen zur Ausweisung „lästiger Ausländer“ in der Weimarer Republik, zum Leben des Bremer Arbeiters Johann Geusendam, zum Sittlichkeitsskandal im Fall Kolomak und zur Entnazifizierung ganz normaler Frauen, wird sich das nächste Projekt mit dem Ersten Weltkrieg in Bremen beschäftigen. Das studentische Team unter Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros sitzt derzeit wieder in Bremer Archiven und sucht spannende Dokumente, die das Leben der Bremerinnen und Bremer im Großen Krieg widerspiegeln. Premiere wird im Herbst 2012 sein.

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Ries: VVK beginnt am 7. Februar

Bremer Hauptbahnhof, 13. Januar 1948: Die Wege von Feiga Berkmann, Überlebende des Konzentrationslagers Auschwitz und Margarete Ries aus Magdeburg kreuzen sich. Die 19-jährige Berkmann erkennt in Ries den Kapo „Gretel“ und holt die Bahnhofspolizei. Ries soll vier Häftlinge – auch Berkmanns ältere Schwester Rosa – getötet haben.
Die amerikanische Militärregierung für Bremen nimmt Ermittlungen gegen Ries auf. In den Verhören im Haus des Reichs, dem Sitz der US-Militärregierung, leugnet Ries zunächst jemals in einem KZ gewesen zu sein. Später gibt sie ihre Tätigkeit als Kapo zu.

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Ries: Die Termine stehen fest!

„Im Lager hat man auch mich zum Verbrecher gemacht.“ Margarete Ries: ‚Asozial‘ im KZ Ravensbrück. Kapo im KZ Auschwitz. – Unter diesem Titel bieten wir im März und April 2012 eine neue Lesung zusammen mit der bremer shakespeare company an! Die Termine: 27. März und 17./18./24. April, jeweils um 19.30 Uhr im Haus des Reichs. Der Vorverkauf beginnt am 7. Februar 2012.

Ariadne

Rezension des Begleitbandes zum „Fall Kolomak“
von Dr. Kerstin Wolff (Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung, Kassel)

Skandal in Bremen!

1927 wurde im Landgericht Bremen der Prozess gegen Elisabeth Kolomak eröffnet. Die Anklage lautete auf schwere Kuppelei, die Angeklagte wurde zu acht Monaten Gefängnishaft verurteilt. Dieser Prozess, der so oder so ähnlich in vielen Städten der Weimarer Republik stattgefunden haben könnte weist nun mehrere Besonderheiten auf: Erstens fand er unter einem enormen Öffentlichkeitsinteresse statt, zweitens wurde gegen das Urteil Berufung eingelegt und der bekannte Justizrat Dr. Johannes Werthauer übernahm im Auftrag der Liga für Menschenrechte die Verteidigung und drittens kam der Fall nur deswegen ins Rollen, weil die Mutter das angebliche Tagebuch der verstorbenen geschlechtskranken Tochter (sie starb aufgrund einer ärztlichen Zwangsbehandlung mit Salvarsan im Alter von 16 Jahren) veröffentlichte. Das Tagebuch der Tochter erwies sich als Fälschung der Mutter und die Bremer Polizei begann den Fall zu recherchieren.
Dieser alte Justizfall fand nun im Jahr 2010 den Weg auf die Bretter der bremer shakespeare company. Dass dies möglich war, ist der Historikerin Eva Schöck-Quinteros zu verdanken, die schon zum dritten Mal historische Ereignisse auf die Bühne holte. Dabei wird sie jedes Mal unterstützt von den Studierenden des Masters: Geschichte der Universität Bremen, die nicht nur den Fall rekonstruieren, sondern ihn auch für die Bühne aufbereiten. Der Fall Kolomak, beziehungsweise das, was die Studierenden daraus gemacht haben, ist nun auch als Buch erschienen, ebenfalls unter der Leitung von Eva Schöck-Quinteros. Darin wird nicht nur der Justizskandal in Bremen aufgerollt, vielmehr geht es in den Beiträgen der Studierenden darum, das Verfahren in seine Zeit einzubetten. So fragen Cathrin Anna Becker und Frederike Buda nach dem Einfluss der katholischen Kirche und Thomas Hinrichs, Christopher Menge und Sabrina Schütze zeichnen die Debatten über den Kolomak-Fall in der Bremischen Bürgerschaft nach. Das Buch ist optisch ausgesprochen gut gestaltet, der Fall gut nacherzählt und die Hintergrundfakten kenntnisreich und interessant zusammen gesammelt. Das gesamte Projekt, welches sich zur Aufgabe gemacht hat, „Akten auf der Bühne zum Sprechen zu bringen und auf diese Weise einem breiten Publikum quellenbasierte Forschung zu einem aktuellen Thema zugänglich zu machen“ (www.sprechende-akten.de) zeigt exemplarisch, wie innovativ und spannend die Zusammenarbeit zwischen Geschichtswissenschaft und Theater sein kann.
Noch ein Wort zum Fall Kolomak: Dieser wurde erst zu einem Bremer Justizskandal, weil die Mutter den Fall der zwangsbehandelten Tochter öffentlich machte – durch ein Tagebuch, welches sie selber verfasste und damit der bürgerlichen Doppelmoral einen Spiegel vorhielt. Dieses Tagebuch, ist unter dem Titel: „Vom Leben getötet“ 1926 veröffentlicht worden und brachte den Fall erst ins Rollen. Denn erst die Veröffentlichung veranlasste die Bremer Polizei und Staatsanwaltschaft tätig zu werden, der ungeklärte Tod der erst 16jährigen Lisbeth Kolomak zwei Jahre zuvor, hatte dies nicht erreichen können. Das Buch ging im Frühjahr 1927 in die zweite Auflage, als Elisabeth Kolomak bereits verhaftet war und der Prozess kurz bevor stand. Der Verlag verfasste daraufhin ein Vorwort, in dem auch der Grund für das Verfassen des ›falschen‹ Tagebuches von Seiten der Mutter angegeben wurde. »Nicht allein das traurige Schicksal meiner Tochter, der Klatsch, die Verleumdung und die Vorurteile gegen uns und die anderen Kinder gaben mir die Kraft, Erzähltes und Geschriebenes wiederzugeben. Ich versetzte mich in die Natur des Kindes , das ich als Mutter am besten kannte… Ich habe nur die Ehre meiner Tochter und der lebenden Kinder wahren wollen.« (Vom Leben getötet, S. VIII).
Eva Schöck-Quinteros / Sigrid Dauks (Hg.): »Wußten Sie, daß Ihre Tochter Herrenverkehr hatte?« Der Fall Kolomak, Universität Bremen 2010

Die Rezension ist gekürzt erschienen in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 59 (2011).

Weserkurier

Gerichtstheater über die Entnazifizierung Bremer Frauen

VON SVEN GARBADE

Bremen. Es ist bereits die vierte szenische Lesung, die die Shakespeare Company in Zusammenarbeit mit Bremer Studenten der Geschichtswissenschaft auf die Beine stellt. Auch diesmal haben die Studenten ein dickes historisches Textkonvolut zusammengestellt und dieses den Schauspielern zur Darbietung übergeben. Und auch diesmal bietet der prachtvolle, holzgetäfelte alte Schwurgerichtssaal an der Domsheide genau die richtige Patina für eine Reise in die jüngere Vergangenheit.
Thema der aktuellen Lesung sind die Gerichtsprozesse zur Entnazifizierung von Frauen ab dem Jahr 1945. Der Titel führt bereits ins polemisch Naive: „Was verstehen wir Frauen denn schon von Politik“. Die vermeintlich unscheinbaren Lebensläufe von angeklagten Frauen wurden bisher wesentlich weniger beachtet als die Täter-Biografien der Männer. Frauen dagegen unterstützten das NS-Regime auf weniger offensichtliche Weise. An den Schalthebeln der Macht mochten Männer stehen, Frauen waren deren stille Dienerinnen. Und oft fleißige Kollaborateurinnen im Hintergrund.
Die Company erforscht nun zusammen mit ihren studentischen Dramaturgen Schicht um Schicht aus den Gerichtsakten. Gerade durch die minuziöse Widergabe der alten Protokolle beleuchten die fünf Spielerinnen und Spieler genau jene Scheidegrenze zwischen Nazi-Zeit und Nachkriegszeit. Vier Fälle spielt das Ensemble an diesem Abend vor: Zunächst geht es um eine junge Frau, die in den 1930er-Jahren in einer Worpsweder Kommunistengruppe aktiv war. Ob diese ihre linken Freunde an die Nazis verraten hat, weil sie erpresst worden ist, ist für das Gericht im Jahr 1948 schwer zu klären. Sehr penibel geben die Akten die Atmosphäre der damaligen Zeit wieder. Als heutiger Zuhörer muss man da genau hinhören, um am Ball zu bleiben: Wer hat da wen unter falschem Namen an die Gestapo verraten? Manches scheinbar kleine Detail ist hier nicht sofort sichtbar für den Betrachter. Unter den dünnen Schutzbehauptungen verbergen sich nämlich meist gewaltige Tragödien.
Betrachten wir beispielsweise die Schreibkraft Margarethe Lücke. Die hat vermutlich nicht nur Protokolle von Gestapo-Verhören „abgetippt“, wie sie selbst behauptet, sondern sie hat, so sagen es Zeugen, auch selbst auf Gefangene eingeschlagen, wenn der Chef nicht da war. Aus voller Überzeugung hat sie Opfer zur weiteren Folter weitergereicht. Sie war der Boss. In der Bremer Aufführung kann man beobachten, wie sich diese Fälle im Wechselspiel der Aussagen langsam erschließen. Auch die Belastungsgrenzen des 1945 in Ruinen geschaffenen Rechtssystems werden deutlich: Von den über 400000 untersuchten Fällen in Bremen wurde in den Jahren 1945 bis 1952 nur eine kleine Gruppe als verantwortliche Täter klassifiziert. Die Mehrheit bestand dagegen aus Grenzfällen zwischen Mitläufern und leicht Belasteten.
Jeder Fall verbirgt seine eigene Geschichte. Von den Mühen solcher Differenzierungen, wie kompliziert und wie notwendig sie für eine Gesellschaft sind, berichtet diese Inszenierung.
Nächste Aufführung am 4. Oktober

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