Gerichtstheater über die Entnazifizierung Bremer Frauen
VON SVEN GARBADE
Bremen. Es ist bereits die vierte szenische Lesung, die die Shakespeare Company in Zusammenarbeit mit Bremer Studenten der Geschichtswissenschaft auf die Beine stellt. Auch diesmal haben die Studenten ein dickes historisches Textkonvolut zusammengestellt und dieses den Schauspielern zur Darbietung übergeben. Und auch diesmal bietet der prachtvolle, holzgetäfelte alte Schwurgerichtssaal an der Domsheide genau die richtige Patina für eine Reise in die jüngere Vergangenheit.
Thema der aktuellen Lesung sind die Gerichtsprozesse zur Entnazifizierung von Frauen ab dem Jahr 1945. Der Titel führt bereits ins polemisch Naive: „Was verstehen wir Frauen denn schon von Politik“. Die vermeintlich unscheinbaren Lebensläufe von angeklagten Frauen wurden bisher wesentlich weniger beachtet als die Täter-Biografien der Männer. Frauen dagegen unterstützten das NS-Regime auf weniger offensichtliche Weise. An den Schalthebeln der Macht mochten Männer stehen, Frauen waren deren stille Dienerinnen. Und oft fleißige Kollaborateurinnen im Hintergrund.
Die Company erforscht nun zusammen mit ihren studentischen Dramaturgen Schicht um Schicht aus den Gerichtsakten. Gerade durch die minuziöse Widergabe der alten Protokolle beleuchten die fünf Spielerinnen und Spieler genau jene Scheidegrenze zwischen Nazi-Zeit und Nachkriegszeit. Vier Fälle spielt das Ensemble an diesem Abend vor: Zunächst geht es um eine junge Frau, die in den 1930er-Jahren in einer Worpsweder Kommunistengruppe aktiv war. Ob diese ihre linken Freunde an die Nazis verraten hat, weil sie erpresst worden ist, ist für das Gericht im Jahr 1948 schwer zu klären. Sehr penibel geben die Akten die Atmosphäre der damaligen Zeit wieder. Als heutiger Zuhörer muss man da genau hinhören, um am Ball zu bleiben: Wer hat da wen unter falschem Namen an die Gestapo verraten? Manches scheinbar kleine Detail ist hier nicht sofort sichtbar für den Betrachter. Unter den dünnen Schutzbehauptungen verbergen sich nämlich meist gewaltige Tragödien.
Betrachten wir beispielsweise die Schreibkraft Margarethe Lücke. Die hat vermutlich nicht nur Protokolle von Gestapo-Verhören „abgetippt“, wie sie selbst behauptet, sondern sie hat, so sagen es Zeugen, auch selbst auf Gefangene eingeschlagen, wenn der Chef nicht da war. Aus voller Überzeugung hat sie Opfer zur weiteren Folter weitergereicht. Sie war der Boss. In der Bremer Aufführung kann man beobachten, wie sich diese Fälle im Wechselspiel der Aussagen langsam erschließen. Auch die Belastungsgrenzen des 1945 in Ruinen geschaffenen Rechtssystems werden deutlich: Von den über 400000 untersuchten Fällen in Bremen wurde in den Jahren 1945 bis 1952 nur eine kleine Gruppe als verantwortliche Täter klassifiziert. Die Mehrheit bestand dagegen aus Grenzfällen zwischen Mitläufern und leicht Belasteten.
Jeder Fall verbirgt seine eigene Geschichte. Von den Mühen solcher Differenzierungen, wie kompliziert und wie notwendig sie für eine Gesellschaft sind, berichtet diese Inszenierung.
Nächste Aufführung am 4. Oktober
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