Sittenskandal „Fall Kolomak“ als lebendige und lehrreiche Lesung im Landgericht
Geschichte wird zum Erlebnis
Bremen – Von Corinna Laubach
Im Schwurgerichtssaal 218 geht es hoch her. Verteidigung und Staatsanwaltschaft liefern sich einen erhitzten Schlagabtausch. Unzählige Zeugen treten auf. Auf der Anklagebank: Elisabeth Kolomak. Ihr Vergehen: schwere Kuppelei. Ihr Opfer: die eigene Tochter.
Schauspielerin Franziska Mencz als Angeklagte Elisabeth Kolomak mit ihrem Anwalt Hertel (Michael Meyer) bei der Uraufführung von „Der Fall Kolomak“ im Schwurgerichtssaal des Landgerichtes Bremen.
„Die Anklage ist mir vollkommen unverständlich“, spricht die Frau mit Haardutt und hochgeschlossenem Kleid. Weder einer Unzucht noch einer Schuld ist sie sich bewusst, sieht sich vielmehr einem Racheakt der Polizei ausgesetzt und von infamen Lügen verfolgt.
Was sich heute antiquiert anhört, sorgte im Bremen der späten 20er Jahre für einen handfesten Sittenskandal. Aus dem In- und Ausland reisten Pressevertreter an, um den dreitägigen Prozess im Juni 1927 zu verfolgen. Am Ende urteilt das Gericht: acht Monate Gefängnis für die Schustergattin, da sie als Mutter dafür habe sorgen müssen, dass ihre Tochter nicht auf die schiefe Bahn gerät. Der Anwalt legte Berufung ein. Nachdem die Kronzeugin der Staatsanwaltschaft ins Ausland flüchtete, wurde der Prozess im Mai 1928 eingestellt.
Mit „Wußten Sie, dass Ihre Tochter Herrenverkehr hatte? Der Fall Kolomak“ entführt jetzt die Bremer Shakespeare-Company an originaler Stätte im Landgericht in die 20er Jahre. Ausgangspunkt ist das Tagebuch „Vom Leben getötet. Bekenntnisse eines Kindes“, das im November 1926 erschienen ist. Lisbeth Kolomak, ein junges, leichtlebiges Mädchen, soll es verfasst haben – sie war 1924 an den Folgen einer Zwangs-Salvarsanbehandlung wegen Syphillis gestorben. In dem Buch werden auch die Polizei und das Krankenhaus angeprangert, später wurde Mutter Elisabeth als Verfasserin ausgemacht.
Dass auch gut 80 Jahre nach dem Vorfall die Bremer die Geschichte der Frau mitfühlen und erleben können, ist Geschichtsstudenten der Uni Bremen sowie der Company zu verdanken. Der „Fall Kolomak“ ist der dritte historische Fall, der für das Publikum erlebbar gemacht wird. Die beiden Historikerinnen Eva Schöck-Quinteros und Sigrid Dauks haben gemeinsam mit ihren Studenten an der systematischen Aufarbeitung gearbeitet und in der Shakespeare-Company einen willigen Partner gefunden, die Geschichtsakten mit Leben zu füllen.
Die Studenten wälzten Akten über Akten, werteten Presseartikel aus und trugen Informationen zusammen, die die Schauspieler auf eine zweieinhalbstündige szenische Lesung zusammengekürzt haben. Das Ergebnis: ein lebendiger, lehrreicher und authentischer Geschichtsunterricht, der höchst anschaulich Einblick in die Doppelmoral der vergnügungssüchtigen Weimarer Republik gibt.
Die nächste Aufführungen stehen am Montag, 7. Juni, und Dienstag, 8. Juni, jeweils 19.30 Uhr sowie am Sonntag, 13. Juni, um 11 Uhr auf dem Programm. Restkarten gibt es in den Geschäftsstellen unserer Zeitung.
Online unter: http://www.kreiszeitung.de/nachrichten/bremen/geschichte-wird-erlebnis-790093.html