„Während die Europäer geradewegs gen Evian schlafwandeln, sollten sie wenigstens wissen, dass sie es tun. Und eine vereinte Anregung zum Aufwachen unternehmen.“ (Göran Rosenberg: Flüchtlinge aus Deutschland, in: Tagespiegel, 25.8.2015)
Keine Zuflucht. Nirgends: Im Juli 1938 können sich Delegierte von 32 Staaten auf der von Präsident Roosevelt initiierten Konferenz in Evian nicht auf die Aufnahme von 500.000 deutschen und österreichischen Staatsbürger*innen jüdischen Glaubens einigen. Über das Versagen der Staatengemeinschaft berichten viele Journalisten und Vertreter*innen jüdischer Organisationen wie zum Beispiel Golda Meir.
Neun Monate später, am 13. Mai 1939, legt die MS St. Louis vom Hamburger Hafen ab. An Bord sind 937 jüdische Kinder, Frauen und Männer. Ihr Ziel: Havanna. Doch nach ihrer Ankunft am 27. Mai verweigert ihnen die kubanische Regierung die Einreise. Am 2. Juni nimmt das Schiff nach erfolglosen Verhandlungen des Kapitäns Gustav Schroeder Kurs auf Miami. Ein paar Tage später erklären auch die USA, dass sie für die Geflüchteten verschlossen bleiben. 6. Juni: Letzter Ausweg ist die Rückfahrt nach Europa.
Am 17. Juni 1939 darf die St. Louis in Antwerpen anlegen. Die Passagiere werden auf Großbritannien, Belgien, Frankreich und die Niederlande verteilt. Viele von ihnen geraten nach der Besetzung durch die deutschen Truppen in die nationalsozialistische Vernichtungsmaschinerie, werden deportiert und in Konzentrationslagern ermordet.
In dem neuen Projekt von “Aus den Akten auf die Bühne“ wird am Beispiel der Konferenz von Evian der Umgang der Staaten mit Migration und Flucht verhandelt. Zeugnisse der Fahrt der St. Louis und der Schicksale der Geflüchteten werden in der szenischen Lesung zum Sprechen gebracht.
Im Zentrum der Recherchen steht u.a. die Geschichte der Familie Rosenberg aus Bassum, die seit 1936 in Bremen lebte. Im August 1938 scheiterte ihre Flucht nach Argentinien, weil sie keine Einreisepapiere bekamen. Nur Tochter Gertrud (geb. 1919) erhielt im September 1938 ein Visum für die USA. Sie lebte bis zu ihrem Tod in New York. Ihr Vater Siegmund Selig Rosenberg wurde in der Reichspogromnacht verhaftet. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen versuchte er, auf der St. Louis nach Kuba zu gelangen. Nach der gescheiterten Flucht lebte er in Amsterdam, bis er von den Nationalsozialisten deportiert wurde. Vom Durchgangslager Westerbork führte sein Weg über Theresienstadt nach Auschwitz, wo er 1944 ermordet wurde. Seine Frau Frieda blieb in Bremen und wurde im November 1941 nach Minsk deportiert, wo sie wenig später starb. Über das Schicksal des Sohnes Helmut (geb. 1924) ist wenig bekannt. Sicher ist, dass er 1943 in Auschwitz ermordet wurde.
Zur Geschichte der Familie Rosenberg wird ein Audiowalk mit und für Schüler*innen entstehen, der zu den Stolpersteinen an den Wohnorten der Familie in Bremen und Bassum führen wird. Außerdem werden Workshops speziell für Schulklassen entwickelt.
Das Projekt wird von der Stiftung EVZ (Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) gefördert. Die Premiere ist für April 2019 geplant. Die Aufführungen werden als Livestream online zu sehen sein.